Paradoxien

Ich habe Wissenschaft oder die Wissenschaften studiert, weil ich meinte, dabei Klarheit zu finden und zuletzt so etwas wie die Wahrheit ausdrücken zu können. Dann geriet ich in jungen Jahren als Student in eine Vorlesung über Niels Bohr und lernte, dass der große Physiker meinte, Wahrheit und Klarheit seien komplementär, also nicht in einem Satz zu erreichen. Von der Schule her hatte ich noch den Satz von Hegel im Ohr, “Das Wahre ist das Ganze”, der mir plötzlich einleuchtete. Das Ganze, dass konnte doch nur das Gegenüber von vermeintlichen Wahrheiten sein, die im Zusammenprall das Ganze entstehen ließen. Man kann diese Wahrheit im Widerspruch überall finden. So denken viele Leute, dass sie die stärksten Veränderungen ihres Lebens technischen Entwicklungen verdanken, ohne auch nur eine einzige zu verstehen. Und wer die Geschichte der Friedensreligion namens Christentum anschaut, kann nur staunen, wie wenig sich die Glaubenseiferer durch das fünfte Gebot haben einschränken lassen, um zu töten, was ihnen vor die Waffen kam. Perverserweise hat man christliche Gewalt als Waffenruhe Gottes verstanden, aber das lenkt zu sehr von anderen hübschen Paradoxien ab, die sich ein einem Text des britischen Autors K.G. Chesterton finden, der “Die Wildheit des häuslichen Lebens” beschreibt. Hier kann man zum Beispiel lesen, dass die Menschen das meiste Glück finden, die am wenigsten danach suchen. Und “Je näher man etwas anschaut, desto weniger kann man es erkennen.” Vielleicht schauen viele Menschen die ihnen gegenüber Sitzenden deshalb gar nicht mehr an und starren lieber auf ihre Handys. In der Maschine können sie erst den anderen Menschen und dann per Selfie sich selbst besser erkennen. Wenn man in diesen Corona Tage hört, dass nach der Pandemie alles anders sein wird als vorher, kann man sie mit dem Paradox beruhigen. Es wird alles so weitergehen wie vorher. Wir verstehen weder das Virus, das uns bedroht, noch die Maschinen, die unser Leben längst nicht mehr verändern. Sie führen es. Von der Wildheit eines häuslichen Lebens kann keine Rede mehr sein. Die Handynutzer sind gezähmt. Sie verblöden vor ihren eigenen Bildern.

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