Meine Liebe zu den Geheimnissen

Ich habe am letzten Tag im August etwas über einen Riss im Standardmodell geschrieben und mich über die Erklärung der Asymmetrie von Materie und Antimaterie durch eine Eigenschaft von Neutrinos gewurmt und eine Menge Reaktionen bekommen, für die ich danken und auf die ich ganz allgemein etwas erwidern möchte. Ich werde im Januar 2017 70 Jahre alt, was bedeutet, dass ich vor 50 Jahren mit dem Studium der Physik begonnen und bereits damals im ersten Semester von dem großen Geheimnis gehört habe, dass in der Vorherrschaft von Materie über Antimaterie liegt oder liegen soll. Ich habe das als Student nie so richtig einsehen wollen, weil mir eine perfekte Symmetrie nur schwer vorstellbar war und ich eher an die aufschaukelnde Wirkung von Schwankungen glaubte. Wenn mir jetzt das Verhalten von Neutrinos als die Erklärung für ein tiefes kosmisches Mysterium angeboten wird, finde ich das nicht amüsant, da aus einer großen Idee ein trickreicher Mechanismus wird (mit oszillierenden Myon Antineutrinos), obwohl ich dessen Erforschung bewundere. Mir geht es um die Diskrepanz zwischen der Ausgangsfrage, die man jedem Laien erklären kann, und der technischen Antwort, bei der sich auch Fachleute verheddern können.  Unabhängig davon bin ich kein Freund des Standardmodells, das dem Publikum wie eine schlichte Tabelle mit netten Teilchen und Zahlen vorgeführt wird, während tatsächlich endlos lange Langrange Funktionen gemeint sind, die Außenstehenden nicht zu vermitteln sind. Seit den 1990er Jahren weiß man, dass Neutrinos den Vorhersagen des Standardmodells trotzen, und jetzt ist zu lesen, dass die Teilchen neue Erklärungen für die Physik liefern können. Mir kommt dies – bei aller technischen Raffinesse und theoretischen Qualität – immer willkürlicher und fast hilflos vor, womit ich meine, dass ich mit der hier versammelten Physik nicht vor ein Publikum treten und ihm sagen kann, was die Welt im Innersten zusammenhält. Irgendein Teilchengemenge finde ich nicht befriedigend, ohne dass mir etwas von Relevanz einfiele, was man an seine Stelle setzen könnte. Ich muss kein Ei legen können, um sagen zu dürfen, ob mir eins schmeckt. Und mir schmeckt die Neutrinoerklärung  des kosmischen Mysteriums nicht. Ich werde aber weiter schauen, was aus der Materia – der Mutter aller Dinge – wird und vermutlich noch viele Anmerkungen lesen können.


Dieser Beitrag wurde auch auf ScienceBlogs veröffentlicht.

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