In der Schule lernen wir, daß Erkenntnis gelingt, wenn wir Begriff und Anschauung haben. Begriffe ohne Anschauung sind leer, und Anschauung ohne Begriffe ist blind, wie es der Königsberger Philosoph Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ notiert hat. So weit, so gut. Für Kant, der sein Leben lang bekanntlich nicht aus Königsberg hinausgekommen ist, finden die Anschauung und die Begriffsbildung daher ganz selbstverständlich am selben Ort statt. Nun ist genau diese Bedingung bei Darwin nicht erfüllt. Seine Anschauung der Natur hat in aller Welt und vor allem auf den Galapagosinseln stattgefunden. Seine Begriffe entstammen aber einer völlig anderen Welt, nämlich der Welt der englischen Industriegesellschaft im frühen 19. Jahrhundert, als die industrielle Revolution soweit fortgeschritten war, daß sie ihren Namen bekam (mehr dazu im erweiterten Text). Wenn wir jetzt zum Erkennen schreiten, können wir die fremden Welten einfach übergehen und die Vögel wie die Menschen verstehen. Und wenn ja – als die besseren oder schlechteren? Stammen wir von Affen oder die von uns ab?

Zur Erläuterung, warum Darwins Begriffe nicht der Natur, sondern der Kultur entstammen, und zwar präzise der seiner Zeit (woraus vielleicht folgt, daß unsere Begriffe anders sind und wir Evolution anders verstehen). Es geht um drei Konzepte – Kampf ums Dasein, Selektion, Divergenz. Sie alle kommen aus der ihn umgebenden Welt der Menschen. Kampf ums Dasein stammt aus einem Buch von 1798, in dem beschrieben wird, was eintritt, wenn es zu viele Menschen für zu wenig Brot gibt – einen Kampf ums Dasein. Selektion stammt von den Züchtern, die aus Rennpferde oder Mastschweine aus waren. Und Divergenz (Diversifizierung) war das Erfolgsrezept der Unternehmen, die auf der Weltausstellung glänzten, die Darwin 1851 in London besucht hat. Wie will man damit Finken auf einem fernen Archipel verstehen? Darwins Theorie bleibt ein Geheimnis.

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